Medina/ Kaikoura Coast Track

15/11/2013 00:00
Der Morgen beginnt, wie halt in einer Naturfreundehütte ein Morgen beginnt: man versucht den fremden, ungewaschenen Menschen aus dem Weg zu gehen, um Ihnen dann doch permanent zu begegnen. "Good morning, how are you doing?" - "...bis ich dich getroffen habe, eigentlich ganz gut", schießt es mir durch den Kopf. Na ja, immer schön freundlich bleiben, sonst wird die 10 Grad warme Dusche im Schafsstall nie frei - man wird genügsam und freut sich an den kleinen und sonst selbstverständlichen Dingen im Leben. Wir wollten eigentlich früh aufstehen, damit wir genau diesem Gewusel aus dem Wege gehen können...wir waren zwar früh, aber die anderen halt früher. Nici hat aus unseren nicht existenten Vorräten und den drei mandarinen-großen Grapefruits ein für den Tag stärkendes Frühstück gezaubert. Wir tauschen Belanglosigkeiten über "Switzerland" gegen den neusten Gossip aus Kiwi-Land. Ich raune Nici zu, dass wir jetzt aufbrechen sollten, weil ich nicht den ganzen Tag hinter diesen Wandervögeln her marschieren möchte. Wir packen unsere wenigen Habseligkeiten und deponieren den großen Rucksack in der Baggage Claim, wo der Pöstler ihn später abholen wird und zu unserem nächsten Tagesziel bringt. Wir machen uns mit unsern Daypacks auf den Weg zum Strand und haben die Gruppe hinter uns gelassen. Für eine Viertelstunde. Dann merkt Nici, dass sie ihr Portemonnaie auf dem Etatenbett liegen gelassen hat. Ich warte am Strand. Dann kommt Nici...und hat unsere 6 Kiwis im Schlepptau. Ok, wir lassen sie ziehen und trödeln hinter her, bis sie im Dunst der Brandungsgischt verschwunden sind. 
 
Die Natur ist atemberaubend. Schwarzer Lavastrand und gelbe Sandsteinklippen soweit das Auge reicht, dazu die tosende Brandung des Südpazifiks. Die Strandpassage macht etwa die Hälfte der ersten Tagestour von gesamthaft 12 Kilometern aus und das Vorankommen im nachgebenden Sand ist einigermaßen mühsam. Wir sollen nach Delphinen und Seehunden Ausschau halten und werden nach einiger Zeit auch fündig: ein Seehund-Kadaver ohne Kopf. Schön. Wir gehen weiter und machen in der Ferne einen weiteren "Körper" am Strand aus. Diesmal ist es ein lebendiges Exemplar, dass uns erstaunlich nahe an sich heranlässt; selbst nicht enden wollende Fotoserien bringen das Tier aus der Ruhe und wir befürchten schon, dass es sich nur kurz vor dem Kadaver-Stadium befindet - das stellt sich zum Glück als Falschvermutung heraus, es ist quick-lebendig. Wenig später begegnen wir noch so einem Zeitgenossen, der allerdings es früher Reißaus nimmt und zurück in die heranwollenden Wellen hoppelt (ich mein, ok es ist ein Hund und "hoppeln" in diesem Zusammenhang vielleicht etwas gemein, aber "schleppen" - das an dieser Stelle richtige Wort - hat so überhaupt nichts nettes).
 
Wir kommen zur ersten Schutzhütte, oder "Shelter" wie die Kiwis sagen, in dem normale Wanderer ihren mitgebrachten Proviant zum Lunch verzehren - ok, ich höre jetzt auf damit. Unsere Vorhut ist mit der Mittagspause so gut wir durch, d.h. Langsam geht unser Timing wieder auf. Ian bleibt aus Höflichkeit noch ein paar Minuten, um Nici die neuseeländische Tierwelt zu erklären. In Wahrheit führt er sie aber in den neuseeländischen Dialekt ein:"...there are only a few barts lift...", Nici schaut mich fragend an? "barts lift", richtig, "birds left". Wir bedauern. 
 
Der zweite Teil des heutigen Tages geht zunächst rauf auf die Klippen zu einem erhöhten Aussichtspunkt oberhalb der Küste und führt dann über einige Schafweiden hinunter in einen Creek, in dem man die ursprüngliche Küstenvegetation wieder aufgeforstet hat. Wir bahnen uns den Weg durch diesen Dschungel und landen gegen Ende wieder auf einem Schafweiden-Höhenzug (ja, davon gibts hier mehrere), der uns schließlich zu unserer nächsten Farm/Unterkunft führt. An dieser Stelle ist vielleicht ein kurzer Exkurs zu den Private Trails hier in Neuseeland angebracht: In der guten alten Zeit, als es den Bauern in Neuseeland richtig blendend ging, wurden Wanderer, die auf Privatgrundstücken erwischt wurden, verklagt und vor den Kadi gezerrt. Dann kam die Zeit, als es den Bauern nicht mehr so gut ging und sie findig nach neuen Einkommensquellen suchten: die Geburtsstunde de Privat Trails. Anstatt die Wanderer auf Schadensersatz zu verklagen (mit ungewissem Ausgang und äußerst erratisch), lud man sie nun zu sich ein, beherbergte sie in ausrangierten Schafställen und knöpfte ihnen dafür den "Schadensersatz" zu einem Zeitpunkt ab, an dem Sie noch nicht einmal einen Fuß auf das Land gesetzt hatten. Genial. Wir erfahren später, dass es etwa 700 Gäste pro Jahr sind (x230=161000 NZD), davon 75% Kiwis. Umso mehr sind unser Gastgeber interessiert, wie wir sie gefunden haben - Nici hat "wandern mit Schafen" gegooglet, Volltreffer. Es gibt inzwischen 25 dieser Trails über ganz Neuseeland verteilt.
 
Unsere Pfadfinder sind schon da und haben es sich vor "The Whare" (sprich "fhari", ist Maori und bedeutet Haus) frisch geduscht gemütlich gemacht. Wir bekommen Wein und Bier und teilen Eindrücke und Erlebnisse des Tages. Dave, der Farmer, gesellt sich dazu und erzählt wie er und Bruce vor knapp 25 Jahren den Trail mit "explosives" aus dem Sandstein gesprengt haben - ja, ja die "good old times", das ist heute natürlich nicht mehr möglich. Das ganze Gehöft heisst 'Medina' und ist von Dave's Vater nach dessen Rückkehr aus dem zweiten Weltkrieg begründet worden. Man muss sich das ganze ungefähr wie ein neuseeländisches Ludwigsburg vorstellen: eine unübersichtliche Anzahl an Häusern und Nebengebäuden; eine Grosszahl von landwirtschaftlichen Geräten und Maschinen über das Gelände verteilt; überall freilaufende Tiere, Hühner, Hunde und, natürlich in diesem Fall, Schafe; leichtes Chaos und Unordnung aus Sicht des nicht agra-ökonomisch vorgebildeten Betrachters. Das beste daran: Dave entpuppt sich als die neuseeländische Antwort auf Kurt Jürgen - grossgewachsen mit dunkler Stimme, kein Mann der langen Ausführungen, in dunkelgrüner, leicht in khaki übergehender Kleidung, die nur mit etwas Mühe die letzten 30 arbeitsreichen Jahre überstanden hat. Großartig.
 
Die nächste gute Nachricht: wir werden in einem anderen Gebäude untergebracht, der Garden Lodge; Dave zeigt uns den Weg und wir kommen zu einem - dem kleinsten - der vielen Gebäude, dass - wohl wo? Richtig - auf einer Schafweiden steht. Es ist im Prinzip ein 1-Zimmer-Appartement, mit Küche, Wohnzimmer, Arbeitszimmer und Schlafzimmer in einem Raum - plus Bad. Dave hat auch einen Hofladen. In dem können wir uns nach Belieben jetzt mit Nahrungsmitteln eindecken. Wer sagt's denn - eigenes Zimmer, genug Lebensmittel, wir nähern uns dem Idealzustand. Wir kochen Pasta-backed beans-Auflauf und grillen selbstgemachte Würste aus dem Hofladen - und trinken noch ein Abschlussbier mit den Schafen vor unserer Hütte...