Queen Charlotte Track

19/11/2013 00:00

Der letzte volle Tag auf der Südinsel bricht an. Das spüren wir inzwischen auch in unseren Knochen und sind guter Dinge, da wir ja heute mit fahrbarem Untersatz unterwegs sind. Es gibt im wesentlichen zwei 25-km-Strecken, die man unter die Räder nehmen kann: die erste ist die dritte Etappe des Tracks und hat sehr viel Ähnlichkeit mit der ersten - wir entscheiden uns für die zweite: wir werden in Torea Bay abgesetzt und fahren dann ca. 12 km auf der (von Picton aus gesehen) hinteren Küstenstraße bis zur Mistletoe-Bay, bevor wir auf den letzten Abschnitt des QCT nach Anakiwa abbiegen - nochmal 13 km.

Praktischerweise befindet sich der Bike-Verleih direkt gegenüber vom Anlegesteg, sodass wir trotz Verspätung und Ausleihprozedere (die nette Holländerin im Shop quittiert das mit einem: "wow, that was quick" - ok, vor uns waren auch etwas komplizierte Chinesen unterwegs) noch rechtzeitig mit unseren neuen und vollgefederten Cannondale-Bikes das Schiff erreichen. Der Kapitän erinnert sich an Nici (wieso eigentlich, die sitzt doch immer ganz still in der Ecke..?) und fragt mit einem Augenzwinckern:"...what?...another day of self chosen torture?" Hm, auf den ersten Blick eigentlich ganz witzig, leider mit einer großen Portion Wahrheit...

Torea Bay liegt direkt auf der anderen Seite des Sounds und so sind wir die letzten, die das Boot besteigen und die ersten, die wieder von Bord gehen. Der Käpt'n ruft uns noch zu, dass wir um halb vier in Anakiwa wieder aufgesammelt werden und dann stehen wir allein auf dem Jetty in der Torea-Bay - mit unseren Fahrrädern. Es ist inzwischen wärmer geworden und wir können die erste 'Shell' schon in denRucksäcken versorgen. Dann legen wir den ersten Gang ein und "radeln" auf den Sattel. In der ersten halben Stunde trifft schon mit großer Genauigkeit die Prophezeiung des Bootsführers ein...
Oben auf dem Sattel gibts es zwei Strecken runter auf die Küstenstraße: eine geteerte und einen Schlammpfad - wir sind beide einen anderen heruntergefahren und ich überlasse es dem aufmerksamen Leser an dieser Stelle zu entscheiden, wer wohl welchen gewählt hat.
Es ist inzwischen ziemlich heiß geworden und das auf und ab der Straße veranlasst uns zusätzlich, alles bis auf unsere sportlichen Multifunktionstrikots abzulegen und zu verstauen. Bei dieser kurzen Rast hat Nici ihr Rad an das Schild einer Immobilienfirma angelehnt, das wir jetzt genauer betrachten. Ein dreistöckiges, mit großer Holzveranda auf den beiden oberen Stockwerken, Haus in Hanglage mit Blick über den ganzen Kenepuru Sound - das alles inmitten subtropischer Vegtation. Ich laufe die Straße etwas runter, weil ich mir das gerne in natura anschauen möchte. Es ist eigentlich noch besser, als auf den Bildern. Ich komme zurück und frage Nici, ob sie sich vorstellen kann, hier am Sound zu leben. Sie sagt ohne zu zögern ja - wir haben ein Projekt. Dazu später mehr.

Bevor wir weiterfahren treffen wir noch ein Ehepaar aus Palo Alto, das auf der gleichen Tour ist und an der gleichen Stelle zum gleichen Zweck angehalten hat. Man kommt wie üblich über die üblichen Dinge ins Gespräch. Die beiden, Ende fünfzig/Anfang sechzig, haben ihr Haus  in Californien für 1 Jahr vermietet und sind jetzt "homeless". Deshalb müssen sie die ganze Zeit reisen. Erst Ozeanien, später dann Europa. Damit sind sie die ersten, deren Schicksal noch etwas härter ist als das unsere...weiter gehts und wir kommen relative schnell voran bis Mistletoe Bay, wo wir nun den Asphalt hinter uns lassen und auf das letzte Teilstück des Queen Charlotte Tracks abbiegen; ein ausgewaschener, mit Ablaufrinnen und Steinen übersäter Trampelpfad, der Mensch und Gerät alles abverlangt (Nici vergisst ihre Vordergabel auf die neuen Bedingungen einzustellen - erst nach 10 km verändert sie die Einstellung, da sind ihr aber schon ein paar mal die Arme in den Downhill-Passagen fast abgefallen...). Und sonst? Wir erleben eins der absoluten Highlights unserer Reise. Auf den ganzen 13 km, den schönsten des gesamten Tracks (wie uns einheimische bestätigen), begegnen wir grad mal zwei anderen Gruppen. Ansonsten nur wir und die Bikes. Kurze Bergaufpassagen gehen über in lange Downhill-Strecken. Durch wilden Busch und zur rechten Seite fast permanent der Blick in den Sound. Einfach genial. Mittagspause machen wir auf einer kleinen Bergwiese am Streckenrand und fangen an, unseren Lebensrhythmus mit Zweigniederlassung in Neuseeland zu planen.

Um das ganze etwas einfacher zu gestalten, lassen wir den Aspekt, wie wir unseren Lebensunterhalt verdienen wollen, zunächst einmal außen vor. Arbeitshypothese: wir haben eine Idee für ein gut funktionierendes und skalierendes Internetbusiness, dass wir von überall auf der Welt erfolgreich und eben gerade "remote" betreiben können. Gut, wäre die Frage für den Moment mal geparkt. Ansonsten sieht das Nici+Miki-Jahr dann wie folgt aus: von November bis Januar sind wir in Neuseeland, im Februar und März nehmen wir die schnee- und sonnenreiche Zeit in Laax mit; im April geht es zum Frühlingserwachen ins Piemont und Mai und Juni verbringen wir in Zürich; von Juli bis September sind wir dann wieder in Italien, um im Oktober noch einmal in Zürich und Laax nach dem Rechten zu sehen - denn dann geht es ja für drei Monate wieder nach Neuseeland...perfekt, es geht auf.

Nachdem das Lebensmodell jetzt steht, fahren wir weiter und es wird immer nur noch besser. Jetzt kommt das längste Downhill-Stück und wir fräsen durch den Wald Richtung Anakiwa, dass wir nach gut 1,5 Stunden erreichen. Jetzt spüren wir wirklich jeden einzelnen Knochen und legen uns auf dem Jetty in die Nachmittagssonne, wo rund eine Stunde später unser Bootsshuttle verspätet eintrifft und zurück nach Picton bringt. Auf dem Boot, genauergesagt eigentlich auf dem Jetty, lernen wir Christine kennen, eine Schweizerin aus Olten, Mitte dreißig, die den gesamten Weg in drei Tagen zurückgelegt hat. Sie hat sich 6 Wochen unbezahlten Urlaub genommen und wandert alleine durch Neuseeland, während ihr Mann sich bei Emil Frey zu Tode schuftet. Sie erklärt uns, dass sich die beiden bewusst gegen Kinder entschieden haben und auch nicht den Rest ihres Lebens an der Karriere basteln wollen, dafür aber ein sehr aktives Naturprojekt-Leben führen. Auch ein Ansatz. Und Christine strahlt die Fitness, die es dafür wohl braucht auch aus (nebst dem, dass sie in drei Tagen 70km gelaufen ist). Im Hafen von Picton geht jeder wieder seines Weges.

Nach den durchschnittlichen Selbstkocherlebnissen der letzten zwei Tage entscheiden wir uns heute für einen Dinner im Geheimtipp der Pictoner Gastroszene: das "La Café" von Peter - einem Schweizer natürlich. Ich nehme eine Fischsuppe und ein Hirschragout - beides wirklich hervorragend. Nici nimmt als Vorspeise selbstgebackenes Brot mit Olivenöl. An dieser Stelle ist sie schon ein bisschen neidisch (ich bestelle sowieso eigentlich immer, was sie bestellen wollte, aber nicht konnte, weil ich es ja schon bestellt habe, obwohl ich immer als zweiter bestelle...?) und tunkt ihr selbstgebackenes Brot in meine Suppe. Für den Hauptgang hat sie sich ein Highlight bestellt: moules - Green-lip-mussels, um genau zu sein. Das sind zu grossgeratene (und zwar viel zu grossgeratene) Miesmuscheln; eine Muschel füllt den Mund komplett aus, und der Verzehrende muss dazu noch Pausbäckchen machen. Die erste Muschel verschwindet in Nici's Mund - nach 40 Sekunden Lutsch- und Pressversuchen, sehen wir die Muschel (jetzt noch etwas unansehnlicher als vorher) wieder...und veräumen sie diskret unter dem einzigen Salatblatt auf dem Teller. Damit sind aber jetzt schon alle Verstecke ausgenutzt. Das merken wir beim zweiten Versuch, der noch von ein bisschen Würgen begleitet wird. Hm, also nicht im Sinne von "yammy" oder "lecker", sondern mehr im Sinne von "was nun?". Ich baue ein bisschen Druck auf, "...das kannste jetzt aber nicht alles zurückgehen lassen...", stehe aber auch mit Rat und Tat zur Seite:"Zerkleinere sie doch einfach"...wer hat schon mal Muscheln vor dem Verzehr "zerkleinert"? Nur der kann nämlich verstehen, was Nici an diesem Abend geleistet hat...zum Dessert gibts zur Belohnung Eiscafe mit viel Eis.


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